Interview Feb 22 PostFinance Artificial Intelligence

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Finanzindustrie: Künstliche Intelligenz klug einsetzen Ob für Anlageentscheide oder Betrugsprüfungen: Die künstliche Intelligenz gewinnt in der Finanzindustrie an Bedeutung. Jörg Osterrieder, Professor an der ZHAW School of Engineering, zeigt deren Chancen und Herausforderungen auf.


Was ist dank künstlicher Intelligenz in der Finanzindustrie möglich geworden, was früher nicht möglich war? Künstliche Intelligenz zielt darauf ab, dass Computer die ihnen gestellten Aufgaben basierend auf Algorithmen autonom ausführen und dabei anpassungsfähig auf unbekannte Situationen reagieren.

Ziehen wir ein Beispiel aus dem Assetmanagement heran: Heutzutage lassen sich personalisierte, auf die einzelnen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden ausgerichtete Anlageentscheidungen treffen, die vollautomatisch durch Computer berechnet werden. Früher war dies entweder ein sehr langwieriger Prozess oder er wurde durch Standardlösungen ersetzt. Oder ein anderes Beispiel aus dem Investmentbanking: Künstliche Intelligenz kann dort bereits automatisiert optimale Entscheidungen darüber treffen, wie und zu welchem Zeitpunkt Aktienaufträge ausgeführt werden. Bis vor einigen Jahren wurden die meisten Kauf- und Verkaufsaufträge manuell per Telefon entgegengenommen. Das in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte Capital Asset Pricing Model, das aufgrund historischer Kapitalmarktdaten die Renditeerwartung von Aktien formuliert, ging noch von einem linearen Zusammenhang zwischen einem einzelnen Wertpapier und dem Gesamtmarkt aus. Aber unsere Welt ist nicht linear. Heute sind wir mit künstlicher Intelligenz in der Lage, Renditeerwartungen und Preise von Derivaten so zu berechnen, dass wir die Komplexität mitberücksichtigen können. Berechnet wird dies aber nicht aufgrund einer linearen Gleichung, sondern auf der Basis einer komplexen mathematischen Funktion, die Millionen von Parametern haben kann.

Was beflügelt die künstliche Intelligenz? Erstens die Daten, zweitens die mathematischen Methoden und drittens die Fähigkeiten der heutigen Computer. Noch nie stand uns eine solche Menge an Daten aus so vielen unterschiedlichen Quellen zur Verfügung, aus denen wir mit künstlicher Intelligenz Zusammenhänge finden können. Dies wäre in dieser Form vor einigen Jahren noch nicht möglich gewesen. Während heute eine Kapazität von 1 Milliarde Rechenoperationen pro Sekunde rund 4 Cent kostet, kostete dieselbe Leistung 1950 umgerechnet rund 1’800 Milliarden Dollar.

Welche Art von Mehrwert könnte die Finanzbranche aus Anwendungen der künstlichen Intelligenz erzielen? Banken können sich künstliche Intelligenz zu Nutze machen, um sowohl Kosten zu reduzieren als auch Erlöse zu steigern. Beispielsweise können Banken maschinelles Lernen in ihrem Kreditprozess anwenden, um Kreditentscheidungen zu optimieren: Künstliche Intelligenz kann Muster in Daten entdecken, die vom Menschen nicht gefunden werden, um so bessere Kreditentscheidungen zu treffen – selbst wenn der Prozess nicht vollständig automatisiert ist. Künstliche Intelligenz trägt somit insgesamt zur Wettbewerbsfähigkeit bei.

In welchen Bereichen einer Bank ist künstliche Intelligenz ein Thema? Künstliche Intelligenz betrifft sämtliche Bereiche einer Bank – das Retailbanking ebenso wie das Assetmanagement oder das Investmentbanking. Und dies sowohl im Frontoffice, wo neue Produkte und Services für die Kundinnen und Kunden gefragt sind, im Middleoffice, wo es zum Beispiel um Betrugserkennung geht, oder im Backoffice, um Prozesse zu automatisieren.

Wo liegen die Grenzen der künstlichen Intelligenz? Zum einen in der IT-Infrastruktur des jeweiligen Unternehmens, die in der Lage sein muss, mit den Daten umzugehen, die verschiedensten Datenbanken miteinander zu verbinden sowie die erforderliche Rechenkapazität aufzubringen. Zum anderen gilt es, die Vorgaben des Datenschutzes zu berücksichtigen sowie die regulatorischen Anforderungen einzuhalten. Nicht alles, was möglich wäre, darf auch eingesetzt werden. In der Schweiz und in vielen anderen Ländern ist geregelt, dass jederzeit klar und nachvollziehbar sein muss, wie ein Ergebnis zustande gekommen ist. Ziehen wir wieder das Beispiel einer Kreditentscheidung heran: Wenn ich als Kundin oder Kunde wissen will, warum ich einen Kredit nicht erhalten habe, muss mir die Bank plausibel darlegen, wie es dazu gekommen ist. Wenn die Bank nun sehr komplexe mathematische Modelle mit Millionen von Parametern einsetzt, um zu ihren Kreditentscheiden zu gelangen, ist es kaum möglich, das Zustandekommen dieser Entscheidungen nachvollziehbar darzulegen. Anders ist es in der Regel bei der Anwendung von weniger komplexeren, regelbasierten Machine-Learning-Services wie Roboadvisory: Hier sind die Ergebnisse in der Regel nachvollziehbar.

Wird künstliche Intelligenz zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor in der Finanzindustrie? Künstliche Intelligenz wird heute bereits von führenden Banken in vielen Bereichen erfolgreich eingesetzt. Diese Technologie wird sich dahingehend weiterentwickeln, dass jede Finanzfirma gewisse Grundfunktionalitäten einsetzen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Unerlässlich ist eine effiziente IT-Infrastruktur. Aber nicht jede Bank muss bei diesem Thema eine Vorreiterrolle einnehmen.

Mit welchen Forschungsthemen beschäftigen Sie sich aktuell im Bereich der künstlichen Intelligenz? Mein Team und ich sind an den verschiedensten Forschungsprojekten beteiligt, die sowohl vom Schweizerischen Nationalfond, der Innosuisse und der Europäischen Union als auch der Finanzindustrie finanziert werden. Die Themen reichen von Kreditrisikomodellen im Peer-to-Peer-Lending über Betrugserkennung bei Blockchain-Zahlungen bis hin zu optimalen Handelsentscheidungen. Auch arbeiten wir daran, komplizierte Modelle der künstlichen Intelligenz nachvollziehbar zu machen. Man spricht dabei von Erklärbarer künstlicher Intelligenz als eine Reihe von Prozessen und Methoden, die es menschlichen Anwenderinnen und Anwendern ermöglichen, die von maschinellen Lernalgorithmen erzeugten Ergebnisse und Ausgaben zu verstehen und nachzuvollziehen. Ein weiteres spannendes Forschungsfeld ist das sogenannte Reinforcement Learning, bei dem der Computer selbstständig optimale Entscheidungen in einem komplexen Umfeld trifft. Der Computer kann millionenfache Simulationen durchführen, um sich stetig weiterzuentwickeln.

Mehr zum EU-ForschungsprojektDer Link öffnet sich in einem neuen Fenster Und welchen Anwendungsbereich gibt es hierfür in der Finanzindustrie? Zum Beispiel das Investmentbanking. Als Akteure auf dem Finanzmarkt stehen Investmentbankerinnen und -banker jeden Tag mit anderen Finanzmarktakteuren im Wettbewerb, um Kauf- und Verkaufsentscheidungen zu treffen. In unseren Forschungsprojekten schauen wir uns an, wie wir Reinforcement Learning nutzbar machen können, um Handelsentscheidungen automatisiert optimal treffen zu können. Anders als zum Beispiel beim Schachspiel, das innerhalb eindeutiger Regeln erfolgt, sind Finanzmärkte extrem komplex. Es gibt sehr viele unsichere und zufällige Ereignisse, die eine Rolle spielen, ein sogenanntes hohes Noise-to-Signal-Verhältnis.

Und wie bringt man nun dem Computer bei, ein erfolgreicher Aktienhändler zu werden? Wir geben dem Computer das Ziel vor, am Ende des Tages möglichst viel Gewinn zu erzielen, und lassen ihn eine unfassbar grosse Anzahl von Varianten analysieren. Er kauft und verkauft erst einmal zufällig, und optimiert sein Verhalten aufgrund des erzielten Gewinns am Ende des Tages. Da es trotz der grossen vorhandenen Rechenleistungen bei Weitem nicht möglich ist, alle Möglichkeiten zu berechnen, braucht es hier ausgeklügelte mathematische Verfahren, um eine Lösung zu finden.

Künstliche Intelligenz bei PostFinance Bei PostFinance ist künstliche Intelligenz ein wichtiges Thema. Folgende drei Blogbeiträge geben einen Einblick, wie PostFinance künstliche Intelligenz nutzt, um Aufgaben und Dienstleistungen clever zu automatisieren. Dabei zu unterscheiden ist zwischen «schwacher» und «starker» künstlicher Intelligenz. Schwache Künstliche Intelligenz (KI) bedeutet, dass das KI-System für die Lösung einer bestimmten Aufgabe entwickelt wird. Im Vergleich zu starker KI, die menschenähnliche kognitive Fähigkeiten besitzt, verfügt das System somit über kein tieferes Verständnis für die Problemlösung.

Jörg Osterrieder Als ZHAW-Professor für Finance and Risk Modelling beschäftigt sich Jörg Osterrieder mit Datenanalyse, Blockchain und künstlicher Intelligenz. Zuvor war er bei globalen Investmentbanken und Hedgefonds tätig. Seine Forschungsprojekte sind auf die Finanzindustrie ausgerichtet, mit quantitativen, datengetriebenen Analysen. Seine Expertise ist auf internationaler Ebene gefragt.